Die soziale Dreigliederung

Die klassischen Wirtschaftstheorien gehen vom Menschenbild Adam Smith‘s aus, der den moralisierenden Charakter des wirtschaftlichen Eigennutzes beseitigte. Leider bleiben alle Theorien hier stecken und erst Rudolf Steiner entwickelte ein neues Menschenbild, das als Grundlage auch zum Verständnis für ökonomische, politische und soziale Fragestellungen taugte. Er formulierte 1917 das Leitbild der sozialen Dreigliederung – Gedanken zur Neuordnung des politisch-gesellschaftlichen Lebens – , da sich sowohl die Monarchie als auch die neue parlamentarische Demokratie als unfähig erwiesen hatten, die sozialen Fragen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zu lösen. Seine Impulse haben Menschen in unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen aufgegriffen und in die Praxis umzusetzen versucht, wie z.B. im Falle des CSA-Konzepts (s.u.). Als Leitbild einer neuen Gesellschaftsordnung spricht Rudolf Steiner vom „sozialen Organismus“, den er als „dreigliedrig“ – bestehend aus dem Wirtschafts-, dem Rechts- und dem Geistesleben – definiert.
Das Wirtschaftsleben umfaßt all das, was Warenproduktion, -zirkulation und -konsum betrifft. Das Rechtsleben regelt das Verhältnis von Mensch zu Mensch (in Form von Verträgen, Absprachen, Gesetzen). Das dritte Glied, das Geistesleben bzw. die geistige Kultur ist alles das, was auf der natürlichen Begabung des einzelnen menschlichen Individuums bzw. auf seinen erlernten Fähigkeiten beruht. Hier geht es darum, Bedingungen zu schaffen, unter denen sich die individuellen Fähigkeiten jedes einzelnen Menschen entfalten können und sozial zur Blüte gebracht werden können. Ein zentraler Gedanke ist, dass es sich um eine Gesellschaft handelt, in der es kein herrschendes Zentrum im Sinne eines koordinierendes Staates und keine übergeordneten geistigen Führungseliten mehr gibt, so dass sich die drei Glieder (Wirtschafts-, Rechts- und Geistesleben) als relativ autonome Subsysteme gegenseitig die Waage halten (vgl. Bos,1992, S.11.).

Die Wurzeln dieses Leitbildes gehen auf die Gedanken während der Französischen Revolution im 18. Jahrhundert zurück – der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die Unmöglichkeit einer Verwirklichung dieser Ideale in der damaligen Zeit, meinte Steiner, habe darin gelegen, dass man versuchte, sie in einer abstrakten, theoretischen Einheit zusammenzufassen und zu zentralisieren. Im Gegensatz dazu sollte erst durch ihr Nebeneinander und lebendiges Zusammenwirken die Einheit des sozialen Organismus entstehen: „Daher wird man zu einer Erfassung des Lebens des sozialen Organismus kommen, wenn man imstande ist, die wirklichkeitsgemäße Gestaltung dieses sozialen Organismus mit Bezug auf Brüderlichkeit, Gleichheit und Freiheit zu durchschauen.“ (Steiner, 1917, S. 88 f.). So soll das Geistesleben aus den Kräften der Freiheit gestaltet werden, weil jede Art von Fremdbestimmung auf Dauer die freie Entfaltung der individuellen Fähigkeiten hemmt. Im Rechtsleben sollen die Menschen aus den Kräften der Gleichheit ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten regeln, weil die Menschen grundsätzlich gleichwertig sind und jede Form der Machtausübung Diskriminierung und Privilegien verursacht. Das Wirtschaftsleben soll aus den Kräften der Brüderlichkeit gestaltet werden und auf die Befriedigung der wirklich vorhandenen Bedürfnisse orientiert sein. Die Orientierung am eigenen Gewinn schadet nur der Gesundheit des Wirtschaftsleben (vgl. Bos, 1992, S. 13.). In diesem Zusammenhang spricht Steiner von der Notwendigkeit, „Assoziationen“ zu bilden.


Assoziatives Wirtschaften

Das Assoziationsprinzip im Sinne eines „brüderlichen“ Wirtschaftens steht im Gegensatz zum Konkurrenzprinzip der Marktwirtschaft, welches durch die egoistische Gewinnerwartung angetrieben wird, im Gegensatz auch zum Prinzip der Planwirtschaft im Sozialismus, wo der einzelne Mensch zur Erfüllung des Plansolls gezwungen ist.

In Assoziationen sollen sich Produzenten, Händler und Konsumenten zusammenschließen um einen Interessenausgleich auf „brüderlicher“ Ebene zu schaffen. Sie dienen als Verständigungs- bzw. Bewusstwerdungs-, Bewusstseinsorgane, um ein partnerschaftliches Verhalten zu entwickeln. „Nicht Gesetze regeln die Erzeugung, die Zirkulation und den Verbrauch von Gütern, sondern die Menschen selbst aus ihrer unmittelbaren Erkenntnis und ihrem Interesse heraus.“ (Steiner, 1917, S. 16.). Betont wird in diesem Zusammenhang, dass es sich dabei aber um selbstverwaltete Organe handelt: „Assoziationen werden gebildet aus den im Wirtschaftsleben Tätigen oder durch ihre Repräsentanten. Eigene Erfahrung und tätige Verantwortung sind Voraussetzungen der Teilnahme.“ (Herrmannstorfer, 1992, S. 46.).
Durch die Bildung solcher Organe sollen sich wieder die Teilwirklichkeiten der in bestimmten Arbeitsbereichen tätigen Menschen zusammenfinden, welche erst durch die arbeitsteilige Wirtschaft entstanden waren. Die fruchtbare wirtschaftliche Zusammenarbeit entsteht durch die Spannung gegensätzlicher Interessen zwischen den beiden Polen Produktion und Konsumption bei gleichzeitiger gemeinsamer Absicht, dass der Leistungs- und Austauschvorgang tatsächlich zustande kommt: „Jetzt kann sich das wirkliche Interesse entfalten: es geht nicht mehr um die Übervorteilung des anderen, sondern um die bestmögliche Verwirklichung, um die Ermöglichung eines benötigten Leistungsprozesses.“ (Herrmannstorfer, 1992, S. 46 f.). Als Grundlage für die Urteilsfindung in gemeinsamen Entscheidungsprozessen innerhalb dieser Organe wird die Vernunft und Erfahrung im betreffenden Arbeitsbereich beim Menschen vorausgesetzt. Dabei benötigt es eine innere Umorientierung des Menschen (weg vom gewinnmaximierenden Eigennutzdenken zu gemeinsamem Handeln), was aber nicht einfach verordnet werden kann. Assoziationen, als konkrete Begegnungsorte sozialer Interessen, können diese Einstellungsänderungen von Menschen nur ermöglichen, aber nicht ursächlich bewirken. Vielmehr muss diese Aufgabe, ein soziales Verständnis (im Sinne von partnerschaftlichen Vorgehensweisen) bei dem einzelnen zu entwickeln und bewußt zu fördern, vom Bildungswesen wahrgenommen werden. (vgl. Herrmannstorfer, 1992, S.49). „Das befreite Geistesleben wird ein soziales Verständnis ganz notwendig aus sich selbst heraus entwickeln; und aus diesem Verständnis werden Anreize ganz anderer Art sich ergeben, als derjenige ist, der in der Hoffnung auf wirtschaftlichem Vorteil liegt.“ (Steiner, 1917, S.108.).

Der Umfang dieser Zusammenschlüsse wird sich durch die Verhältnisse des Lebens selbst regeln, zu kleine würden zu kostspielig, zu große wirtschaftlich und sozial zu unüberschaubar. Aus den Lebensbedürfnissen heraus wird jede Assoziation zu einer anderen einen geregelten Verkehr finden (vgl. Steiner, 1917.).


Aspekte des assoziativen Wirtschaftens

Preisgestaltung
Der Preis ist nicht mehr nur die Funktion aus Angebot und Nachfrage, er steht selbst zur Disposition. Es sollen die an den Assoziationen Beteiligten vorschlagen, mit welchen Maßnahmen sie eine Anpassung der tatsächlichen Verhältnisse an die erwünschten vornehmen wollen. Letztlich benötigt es einen Ausgleich zwischen dem realen Preis und dem auf die soziale Erfahrung gestützte Vernünftigkeit eines Zielpreises, um die allgemeine und zugleich individuelle, d.h. aber brüderliche Existenzsicherung zu bewirken.
Der reale Preis ist vergleichbar mit dem den kurzfristigen Ausgleich herstellenden Marktpreis in der Marktwirtschaft. Der Zielpreis ergibt sich durch den gemeinsamen Beratungsprozeß innerhalb der Assoziationen, in der sich die Erfahrungen der Produktions-und Lebensverhältnisse wiederfinden (vgl. Herrmannstorfer, 1992, S. 57.).

Zugang zu Kapital
Den Fähigen soll Raum für die freie Initiative gegeben werden, um von ihren Fähigkeiten Gebrauch machen zu können. Dazu sollen die in besonderer Richtung begabten Menschen oder Menschengruppen aus ihrer Initiative heraus frei über Kapital verfügen bzw. an dieses gelangen können, um zweckmäßige Güter für den sozialen Organismus erzeugen zu können. Daher müssen Formen des Eigentums neu überdacht werden – Unternehmen, sowie Grund und Boden müssen entkapitalisiert werden.

Bewertung von Arbeit
Die gegenwärtige Wirtschaftsentwicklung geht in eine arbeitsfeindliche Richtung, weil Löhne als Kosten angesehen werden. Eigentlich müsste Arbeit aber als Anteil am Ertrag gesehen werden. Denn Lohn ist ja nur die Innenseite des Preises, was deutlich wird, wenn man als selbständiger Unternehmer arbeitet und das Honorar sich aus dem Preis ergibt. Was Menschen in einem Unternehmen zusammen leisten, wird auf dem Markt verkauft und bildet den Ertrag des Unternehmens, welcher dann (abzüglich der Vorleistungen) unter allen aufgeteilt werden müßte. Nun ist es bei der Beschäftigung von Mitarbeitern nicht mehr üblich, dass die Leistung des gesamten Unternehmens auf die Mitarbeiter in Form einer Beteiligung aufgeteilt wird. Zwar findet man heute bereits wieder in vielen Unternehmen die Ertragsbeteiligung der Mitarbeiter in Form einer Gewinnbeteiligung, was aber aus rein ökonomischen Überlegungen durchgeführt wird, im Sinne einer Motivierung der Mitarbeiter. Da der Lohn so eng mit dem Preis zusammenhängt, ist er nicht nur eine interne Unternehmensfrage – der eigentliche soziale Prozeß spielt sich zwischen dem Unternehmen sowie zwischen den Unternehmen und Konsumenten ab. Somit müsste die Lohnfrage eigentlich zu einer volkswirtschaftlichen Frage werden (vgl. Herrmannstorfer 1994, S. 20 ff.).

Steuern
Hinsichtlich der Steuern sollte die verbreitete Einkommensteuer überdacht werden. Unterstellt man, dass durch assoziatives Wirken in einem zur Dreigliederung tendierenden sozialen Organismus die gröbsten Ungerechtigkeiten in der Einkommensbildung beseitigt sind, so ist das höhere Einkommen ja Ausdruck für eine intensive und ertragreiche soziale Betätigung. Das eigentliche Problem entsteht erst in der Geldverwendung, was jemand ausgibt, d.h. an Leistungen und damit an sozialer Arbeit beansprucht. Die Ausgabensteuer entspricht somit der Realität des sozialen Lebens wesentlich besser, Beanspruchungsunterschiede können mit ihrer Hilfe viel besser ausgeglichen werden. „Nicht weil einer mehr leistet, muss er einen größeren Anteil abgeben, sondern weil er mehr beansprucht.“(Herrmannstorfer, 1992, S. 64.).

Aus der Sicht des assoziativen Wirtschaftens werden in der folgenden Übersicht die wichtigsten Unterschiede dieses Ansatzes dargestellt, einerseits zum vorherrschenden Modell der Marktwirtschaft, andererseits zur aus dem Sozialismus entwickelten Planwirtschaft, die als eine Antwort auf die soziale Ungerechtigkeit der Marktwirtschaft entstand (vgl. Herrmannstorfer, 1990.).

 

Marktwirtschaft

Sozialistische Planwirtschaft

Assoziatives Wirtschaften

Menschenbild

Der Mensch ist prinzipiell nicht sozialfähig. Die Vernunft wird ihm abgesprochen, er darf nur seine Egoismen ausleben.

Der Mensch ist noch nicht sozialfähig. Die Vernunft ist Ausgangspunkt, nicht aber der vernünftige Mensch selbst. Die Menschen erfüllen und dienen dem Plan.

Die Mündigkeit des Menschen beruht auf seiner Möglichkeit zu selbstständigem Urteil, zu Einsicht und Erkenntnis. Handeln aus Einsicht und sozialer Urteilsfindung auf der Basis von Vernunft ist die Maxime des freien Menschen.

Die Grundlage des wirtschaftlichen Lebens

Persönlicher Egoismus ist die Triebkraft des wirtschaftlichen Lebens. Individuelles soziales Bewußtsein könnte zur Schwächung dieser Triebkraft führen.

Eine Gruppe von Menschen — in der Regel die Partei — denkt die Zukunft rational vorweg und gibt Handlungsanweisungen für den einzelnen vor.

Die Sorge um das Wohlergehen der jeweils anderen Menschen gehört zum Verantwortungskreis des Einzelnen. Um ein umfassendes soziales Urteil fällen zu können, muß ein Zusammenhang der einzelnen Teile von der Produktion bis zur Konsumption hergestellt werden

Abstimmung von Einzel- und Gesamtinteresse

Der Mechanismus des entpersonalisierten abstrakten Marktes übernimmt die Aufgabe, Einzel- und Gesamtinteresse aufeinander abzustimmen.

Der kollektive Plan übernimmt diese Abstimmung, wobei von Gesamtinteressen ausgegangen wird, aus denen sich die Pflichtanteile des einzelnen verbindlich ableiten.

In Assoziationen kommen Erzeuger- Händlerorganisationen und Verbraucher regional bzw. branchenmäßig zusammen. Ihre Absprachen bilden die Grundlage individueller Entschlüsse und vertraglicher Regelungen.

Preisbildung

Ein Preis bildet sich unter dem Einfluß von Angebot und Nachfrage sowie der Konkurrenzverhältnisse. Wie gerechte Preise sein sollten, darf sich der einzelne nicht überlegen.

Der tatsächliche Preis ist der politisch gewollte und administrativ verfügte. Wenn nicht Änderungen erfolgen, ist der neue Preis auch der alte. Allerdings existiert daneben auch der Schwarzmarktpreis.

Der Preis selbst steht nicht zur Disposition. Es muß ein Ausgleich gefunden werden zwischen dem Gewordenen im realen Preis und dem auf soziale Erfahrung und Vernunft gestützten Zielpreis.

Konsequenzen

Es wird die Unterwerfung des einzelnen unter die Gesetze des Marktes verlangt, die als Rahmenbedingungen gelten und den Anschein von Freiheit vermitteln.

Es wird Unterwerfung unter den Plan, welcher bestimmt, was zu tun ist, verlangt. Dies wird als direkter Zwang erlebt.

Soziale Gerechtigkeit soll durch aktive Mitarbeit erreicht werden. Verbraucher sind nicht nur Objekte des Wirtschaftens, sondern gleichberechtigte Partner; Menschen werden verantwortlich für die eigene Versorgungslage in ihrer Region.

Nach Herrmannstorfer, 1990, 1994






















Literatur:
Bos, L. 1984: Was ist Dreigliederung des sozialen Organismus? 2. Auflage, Philosphisch-Anthroposophischer Verlag am Goetheanum Dornach/Schweiz, 1992.

Herrmannstorfer, U. 1990: Individualität und Staat. Dreigliederung des sozialen Organismus - eine aktuelle Zeitforderung. Merkblatt Nr.138, Verein für ein erweitertes Heilwesen e. V., Bad Liebenzell-Unterlengenhardt.

Herrmannstorfer, U. 1992: Scheinmarktwirtschaft. Die Unverkäuflichkeit von Arbeit, Boden und Kapital, Freies Geistesleben Verlag, Stuttgart.

Herrmannstorfer, U. 1994: Neue Wege der Zusammenarbeit. Zur Überwindung des anachronistischen Gegensatzes von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. In: Gestaltungsimpulse im Wirtschaftsleben. Sonderdruck von Beiträgen aus der Zeitschrift DIE DREI, Verbund Freie Unternehmensinitiativen Stuttgart.

Steiner, R. 1917: Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft. Fischer Taschenbuch Verlag 1985.