Eine Utopie
kommt zur Welt
Die vorbereitenden Treffen zur Gründung der Selbstversorgergemeinschaft
Buschberghof wie sie damals genannt wurde fanden monatlich
auf dem Buschberghof statt. Interessierte Menschen fanden sich besonders in
den damaligen Milchkreisen, dies waren lokale Gruppen von etwa 10-15 Familien,
die vorwiegend Trinkmilch, aber auch andere Milchprodukte, vom Hof erhielten
und für den Transport und die Abrechnung selbst sorgten.
Die Vorbereitungstreffen waren etwa von 10-20 Personen besucht, und es wurde
diskutiert, wie man die Vorfinanzierung von Urproduktion und Verarbeitung durch
die Mitglieder sowie die Verteilung der erzeugten Lebensmittel erreichen könnte.
Die Diskussionen wurden lebhaft und temperamentvoll geführt und aus heutiger
Sicht kann man sich nur wundern, wie die vielen unterschiedlichen Gedanken der
einzelnen Teilnehmer zu einem Ganzen führen konnten.
Die Fragen, die die Finanzierung betrafen, konnten recht schnell abgehakt werden.
Die Landwirte machten einen Etatansatz von 400.000 DM. Die Kapazität des
Hofes wurde mit 300 Menschen veranschlagt, ein Ansatz, der schon der Landwirtschaftlichen
Arbeitsgemeinschaft zugrunde lag. Hieraus ließ sich ein durchschnittlicher
monatlicher Beitrag von 111,11 DM errechnen. Es wurde dann ein Monatsbeitrag
von 120 DM empfohlen, die Differenz galt der Demeter-Qualität.
Welche Denkfehler sich hieraus ergeben haben, kommt später zur Sprache.
Die Organisation der Selbstversorgergemeinschaft in mehreren Stützpunkten
zu etwa 10 Familien war nahelegend, da die meisten Diskussionsteilnehmer diese
Form bereits von den Milchkreisen her kannten. Man würde vor Ort eine Garage,
einen Schuppen oder ähnliches gebrauchen, um dort Gemüse zu lagern
und zu verteilen, weiterhin einen Platz, wo das Leergut für Milch und Milchprodukte
aufbewahrt werden könnte, sowie ein Anschlagbrett für Bekanntmachungen
und die Bestellzettel. Die Höchstzahl der Familien in jedem Stützpunkt
würde durch die Kofferraumkapazität der jeweiligen Autos begrenzt,
die zum Transport der Milch und Milchprodukte sowie auch des Gemüses und
des Brotes bei den Nicht-Hamburger Stützpunkten. Die Hamburger Stützpunkte
sollten über eine Liefertour mit Gemüse und Brot versorgt werden.
Die Gruppengröße hat sich heute bei etwa 4-10 Familien eingependelt.
Man kennt sich in diesen kleinen Gruppen und dies verhindert Anonymität
und sichert soziale Selbstkontrolle.
Viel Zeit und Energie wurde auf Überlegungen verwendet, wie die Produkte
zu einer gerechten Verteilung kommen. Ein spontaner Gedanke war, dass an jedem
Stützpunkt dann eine Waage vorhanden sein müsste, um Gerechtigkeit
herzustellen. Dieser wurde aber schnell wieder verworfen, da man Gerechtigkeit
wohl nicht über eine mechanische Vorrichtung wie eine Waage herstellen
könnte. Es wurde viel Wert auf die Art und Weise der Verteilung gelegt,
dass sie einfach und praktisch zu sein hätte. Man einigte sich darauf,
dass Brot und Milchprodukte sowie Milch vorbestellt werden müssten. Hier
würde sich der Vorteil ergeben, dass nur das produziert werden müsste,
was auch benötigt würde. Ein Zuviel an Produkten, die dann an die
Schweine verfüttert werden müsste, würde dadurch ausgeschlossen.
Der Bedarf an Kartoffeln und Gemüse würde vom Hof für die einzelnen
Stützpunkte eingeschätzt und geliefert. Bei Mehr- oder Minderbedarf
könnte dann eine Rückmeldung stattfinden, ob etwas nachgeliefert oder
bei der nächsten Lieferung weggelassen werden könnte. Diese Art der
Gemüselieferung hat sich seit Bestehen der Gemeinschaft bewährt. Getreide-
und Mehllieferungen sollten auch vorbestellt werden.
Besonders heftig wurde die Diskussion, als man auf die Verteilung des Fleisches
aus der Hofschlachtung kam, wahrscheinlich deswegen, weil Demeter-Fleisch so
ziemlich das Teuerste war, was man in einem Hofladen kaufen konnte. Die Aufregung
legte sich, als eingesehen wurde dass für alle genug Bratenfleisch, Kurzzubratendes
und Knochen da wäre. Ein Problem entstünde erst dann, wenn es an die
Verteilung der Zunge oder des Schwanzes eines Ochsen ginge. Soll der Schwanz
im Stück weggeben oder wirbelweise auf alle Familien gleichmäßig
aufgeteilt werden? Hierauf waren sich alle einig, dass vernünftigerweise
der Schwanz im Stück weggegeben werden sollte.
Interessant ist, dass bei den Vorgesprächen die Angst aufkam, ob man für
sein Geld entsprechende Ware bekäme oder ob die Bauern sich keine Mühe
mehr in ihrer Arbeit geben würden, wenn sie das Geld quasi geschenkt bekämen.
Immer war das Mißtrauen zu spüren, ob der Mitgenosse bei der Gemüseverteilung
mehr Vorteile hätte.
Ein Höhepunkt der Vorgespräche fand am 24. April 1988 statt, als Ernst-Wilhelm
Barkhoff von der GLS-Bank Bochum nach Fuhlenhagen eingeladen war, um das Vorhaben
mit den Interessierten zu diskutieren. Ernst Wilhelm Barkhoff war gewissermaßen
ein Veteran der Bewegung und gehörte zu den Menschen, die bereits die Landbauforschungsgesellschaft
und die Landwirtschaftliche Arbeitsgemeinschaft gegründet hatten. Obwohl
er allen an Jahren voraus war, waren seine Überzeugungskraft, sein Humor,
seine Sachkenntnis und sein Überblick dermaßen überwältigend
und mitreißend, dass die Diskussionen, die zuvor stattgefunden hatten,
als kleinlich empfunden wurden. Waren die Bedenken zu Beginn auch groß,
nun gab es kein Zurück mehr, es musste gewagt werden!
Nach vielen Vorbesprechungen, Rundschreiben und Sitzungen mit potentiellen
Mitgliedern der geplanten Selbstversorgungsgemeinschaft begannen wir zu Beginn
des Wirtschaftsjahres 1988/89 mit einem Versuch. Wir vermarkteten zunächst
ein Jahr lang zweigleisig. Eine Hälfte unserer Erzeugnisse wurde weiterhin
im Laden und auf der Verkaufstour verkauft. Für diese Kunden wurden auch
weiterhin Gemüse, Obst und Nährmittel vom Demeter-Verteilerdienst
zugekauft. Die andere Hälfte unserer Produkte wurde von etwa 45 Familien
der neuen Selbstversorgungsgemeinschaft vorfinanziert und abgeholt. Diesen Versuch
machten wir aus zwei Gründen. Einmal, um sicher zu sein, dass die Sache
mit der Selbstversorgergemeinschaft auch funktioniert, zum anderen, weil noch
ein Jahr lang jemand den Ladenverkauf machen konnte und wir hofften, möglichst
viele dieser Kunden für die neue Gemeinschaft zu interessieren. Das gelang
leider nur in einzelnen Fällen, denn viele konnten sich einfach nicht vorstellen,
besonders im Winter nur von den Hofprodukten leben zu müssen und evtl.
kein Geld mehr zu haben, um sich andere, leckere Dinge zu kaufen.
Von anderer Seite jedoch, besonders von den bisherigen Milchkreisen her, war
das Interesse an dieser neuen Art der Versorgung so groß, dass wir mit
gutem Gewissen zu Beginn des Wirtschaftsjahres 1989/90 den Laden schlossen und
jeglichen Direktverkauf aufgaben, außer dass wir weiterhin Brot an den
Verteilerdienst, andere Läden, Einrichtungen und einige Privatkunden lieferten.
Jetzt, im Wirtschaftsjahr 1992/93, gehören der Wirtschaftsgemeinschaft
90 Familien an, die durch ihre Beiträge das jährliche Budget decken.
Diese Art der Vermarktung ist natürlich eine Herausforderung
für beide Seiten. Die Landwirte müssen sich gewaltig anstrengen, vom
frühen Frühjahr an bis über den ganzen Winter Gemüse, Getreide,
Getreideprodukte, Milch und Milchprodukte und in Abständen auch Wurst und
Fleisch in ausreichender Menge und möglichst großer Vielfalt anzubieten.
Die Mitglieder der Wirtschaftsgemeinschaft müssen ihre Speisepläne
und Kochgewohnheiten dem anpassen, was sie bekommen, und im Sommer auch einmachen
oder einfrieren, um Vorräte für den Winter zu haben. Sie müssen
sogar lernen, mal kürzer zu treten, wenn infolge ungünstiger Witterung
irgendeine Feldfrucht nicht die erwünschten Erträge bringt oder die
Milch wegen Futtermangels knapp wird. Allerdings hat der Betrieb die Möglichkeit,
durch den Brotverkauf, durch den Verkauf von überschüssigem Brotgetreide,
von Bullenkälbern und, wenn es reichlich gibt, auch von Kartoffeln und
Kohl, Nebeneinnahmen zu erzielen, die, wenn es nötig ist, dazu verwendet
werden, fehlende oder ausgefallene Produkte für die Mitglieder zu beschaffen.
Und wie sieht die Vermarktung nun praktisch aus? Es haben sich zehn Stützpunkte
gebildet von Menschen, die in etwa derselben Gegend wohnen. Sie organisieren
die Abholung und Verteilung der Waren selbst. Vom Hof aus muss das Gemüse
vorgeputzt für jeden Stützpunkt je nach der Zahl und Größe
der Familien bereitgestellt werden, ebenso Fleisch und Wurst, wenn geschlachtet
wird. Milch, Milchprodukte und Brot werden auf Bestellung geliefert.
Es ist sehr wichtig bei dieser Art des partnerschaftlichen Zusammengehens von
Erzeugern und Verbrauchern, immer miteinander im Gespräch zubleiben. Bei
uns geschieht das durch Zusammenkünfte in regelmäßigen Abständen,
durch Protokolle, Rundschreiben, den Buschberghof-Boten, durch gemeinsame
Feste, durch Einzelunterhaltungen zwischen Kunden, Landwirten und Mitarbeitern,
und darüber hinaus durch aktive Mitarbeit einiger Mitglieder der Wirtschaftsgemeinschaft
teils in der Buchhaltung und Planung, teils bei wiederkehrenden praktischen
Arbeiten. Wenn diese Gemeinschaft Bestand hat, was wir sehr hoffen, ist für
uns die Frage der Vermarktung gut gelöst. (Heiloh Loss, a.a.O)
Bei der Wirtschaftsgemeinschaft handelt es sich aber nicht nur um die Lösung
der Vermarktungsfrage, sondern diese Form des gemeinsamen Wirtschaftens von
Landwirten und Verbrauchern hat noch Aspekte. Ein Problem soll hier kurz angeschnitten
werden, das auf vielen anderen Höfen Kopfzerbrechen bereitete.
Auf der Suche des Staates nach weiteren Steuerquellen wurde herausgefunden,
dass im ökologischen Landbau auf den Höfen viele landwirtschaftliche
Produkte zu Lebensmitteln weiterverarbeitet werden. Dies geschieht deswegen
u.a., weil man zur Belebung der Höfe Arbeitsplätze ansiedeln wollte,
die dort durch die Industrialisierung der Lebensmittelproduktion ursprünglich
verloren gegangen waren. Die Finanzbeamten waren der Ansicht, dass es sich bei
der Lebensmittelproduktion auch auf Höfen nicht mehr um eine
landwirtschaftliche Tätigkeit handelte, für die gewisse Privilegien
bestanden, sondern ab der sogenannten zweiten Verarbeitungsstufe läge gewerbliche
Tätigkeit vor. Als Konsequenz hieraus mussten viele Höfe Gewerbebetriebe
anmelden, die dann gewerbe- und umsatzsteuerpflichtig wurden.
Wenn man die der Wirtschaftsgemeinschaft zugrundeliegenden Vereinbarungen genauer
studiert, kann man sehen, dass die steuerlichen Probleme, die bei der konventionellen
Vermarktung auftreten, durch die besondere Gestaltung des Wirtschaftsprozesses
gelöst werden konnte.
Quellen:
Heiloh Loss, Vermarktung am Beispiel Fuhlenhagen, in: Rudolf Steiners Landwirtschaftlicher
Impuls, 40 Jahre Bäuerliche Gesellschaft, Amelinghausen, 1993
Gedächtnisprotokolle der Vorgespräche zur Gründung der Selbstversorgergemeinschaft